Emanuel Mathias

Nebahats Schwestern, 2011

  • Installationsansicht Spinnerei Archiv Massiv Leipzig 2011

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  • Mirror, 2017
  • Poster

Nebahats Schwestern, 2011

4 – Kanal Videoinstallation,

15 min, Sound, Farbe

Sprache: Türkisch, Untertitel Deutsch/ Englisch

Mirror, 100 cm x 100 cm, Fotografie in Leuchtkasten

Poster, 90 cm x 70 cm, Offsetdruck auf Affichenpapier, Auflage 1000 Stück

Kulturstiftung des
Freistaates Sachsen
Goethe Institut Istanbul, Türkei
Deutscher Akademischer Austauschdienst
Marion Ermer Stiftung
The Greenbox Verlag Berlin

Die Videoinstallation Nebahats Schwestern basiert einerseits auf authentischen Berichten und nachgespielten Filmszenen dreier türkischer, 2010 in Istanbul tätiger Taxifahrerinnen und andererseits auf ausgewählten Sequenzen des Films Şoför Nebahat von 1960. 

„Mit seiner Videoinstallation Nebahats Schwestern begibt sich Emanuel Mathias auf die Suche nach einer fiktiven, weiblichen Filmfigur im realen Leben. Dabei verhandelt er im Grunde Ab-, Vor- und Nachbild eines solchen „Charakters“ im filmischen wie im übertragenen Sinne und stellt die als gemeinhin gesetzt geltende Reihenfolge dieser Bilder nicht nur mittels ihrer Montage in Frage.“ Silke Opitz 

 

Silke Opitz, Befragung eines lebendigen Bildes, in: Emanuel Mathias, Nebahats Schwestern, The Greenbox Verlag, Berlin, 2010

Mit seiner Videoinstallation Nebahats Schwestern begibt sich Emanuel Mathias auf die Suche nach einer fiktiven, weiblichen Filmfigur im realen Leben. Dabei verhandelt er im Grunde Ab-, Vor und Nachbild eines solchen „Charakters“ im filmischen wie im übertragenen Sinne und stellt die als gemeinhin gesetzt geltende Reihenfolge dieser Bilder nicht nur mittels ihrer Montage in Frage. Seine inhaltlich wie formal überzeugende, komplex angelegte Installation – sie besteht aus einer Drei-Kanal-Videoprojektion, filmischen Interviewsequenzen und einer Fotografie – changiert zwischen Remake und Real Time Movie, zwischen lebendem (tableau vivant) und lebendigem Bild, zwischen Reportage und Rollenspiel und berührt am Rande auch Gender und ethnische Konflikte. Denn Nebahats Schwestern basiert einerseits auf authentischen Berichten und nachgespielten Filmszenen dreier türkischer, 2010 in Istanbul tätiger Taxifahrerinnen und andererseits auf  ausgewählten Sequenzen des Films Şoför Nebahat von 1960, sowie einem Interview mit der Hauptdarstellerin. Şoför Nebahat ist mehrmals bzw. in Fortsetzung verfilmt worden, und diese Fernsehfilme aus den 1960er und 1970er Jahren erfreuen sich bis heute in der Türkei großer Beliebtheit. Sie erzählen die Geschichte einer jungen, sich emanzipierenden Taxifahrerin, die sich trotz ihrer „vordergründig“ männlichen Berufsrolle einschließlich entsprechendem Habitus stets ihre „unterschwellige“ Weiblichkeit bewahrt und als Frau „ihr Leben meistert“. So ist Nebahat tatsächlich und noch immer ein (medial) präsentes Vor-Bild, an dem in der Türkei kaum jemand vorbeisehen kann. Für Emanuel Mathias mag die Beschäftigung mit einem so landes- bzw. ortsspezifischen Motiv und Thema während seines vom DAAD geförderten Aufenthaltes 2010 in Istanbul sicher nahe gelegen haben. Mehr noch aber führt er mit Nebahats Schwestern konsequent seine bildkünstlerischen Untersuchungen zur tradierten bzw. kulturhistorisch variierenden Bedeutung von Gesten sowie zur Konstruktion von Bilderzählungen fort, welche ihn bereits in seinen sorgsam inszenierten Fotografien beschäftigt haben. Auch Mathias’ filmisches Erstlingswerk besticht formal – nun aber über innerbildliche Strukturen von Einzelbildern hinaus besonders durch den professionellen Schnitt, der hier speziell die präzise koordinierte Verknüpfung verschiedenster Bildsequenzen und Zeitebenen meint. So erschließen sich dem aufmerksamen Betrachter dann auch mühelos die audio-visuellen, narrativen Filmstränge, und das Versatzspiel mit den diversen Nebahats gerät an keiner Stelle zur verwirrenden Verwechslungskomödie. Im Gegenteil sind Parallelen und Interferenzen dieser Nebahat- Bilder sehr eindrücklich visualisiert. So gelingt es Mathias, ein ambivalentes, facettenreiches Frauen- und Rollenbild aufzufächern, indem er dessen fast schon historisches Vorbild über seine heutigen Nachbilder thematisiert. Denn am interessantesten erscheint ja das Bild der Nebahat an jenen nicht nur filmischen Leerstellen, die von Nebahats Schwestern – sozusagen rezeptionistisch – aufgefüllt werden. Diese Art der „Bildvollendung“ oder auch „Realbildwerdung“ ist faszinierender als jeder Filmheld, der direkt aus der Leinwand heraus den Zuschauerraum betritt – und dennoch im Film auf der Projektionsfläche verbleibt. Wenn eine der von Emanuel Mathias bzw. seiner Übersetzerin befragten Taxifahrerinnen (mit demselben Vornamen der Filmfigur!) sagt, sie könne die Nebahat spielen, indem sie das Drehbuch in ihr Leben integriere, sind für einen Moment nicht nur Vor- und Nachbild bzw. Fiktion und Wirklichkeit  vertauscht, sondern Realität scheint auch als Film möglich. Mehr noch aber reflektiert der Künstler hier wie beiläufig jenen Effekt, den ein künstlich-künstlerisches Bild tatsächlich für das Leben der ZuschauerInnen und KunstbetrachterInnen haben kann.

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