Ausgehend von Recherchen in den persönlichen Archiven von PrimatologInnen soll in dieser Arbeit der Forscher als Individuum in seinem Forschungsmaterial sichtbar gemacht werden. Dabei geht es darum, den Spuren, die der Forscher während seiner Beobachtungsarbeit im Feld in seinen unterschiedlichen Aufzeichnungs- und Dokumentationsversuchen hinterlässt, nachzugehen und sich diese in Form eines künstlerischen Übersetzungsprozesses anzueignen. Das Interesse liegt einerseits bei den sogenannten primären Aufschreibeformen. Damit gemeint sind Materialien und Daten von Forschern, welche im späteren Verlauf der Publikation unsichtbar bleiben. Dies können handschriftliche Notizen, Briefe, Tagebücher, Film- und Fotoaufnahmen, oder Objekte sein, die im Laufe des Forschungsprozesses entstanden sind oder gesammelt wurden.Die künstlerische Arbeit möchte anhand ästhetischer Eingriffe das vorhandene Material um eine Kommentarfunktion erweiterten, die den Forscher in seiner stetigen Pendelbewegung zwischen subjektiver und objektivierender Wahrnehmung beschreibt.
An den Rändern des Feldes, 2017 – ongoing
An den Rändern des Feldes, 2017 – ongoing
Mirjam Schaub
Zwei friedlich spielende Affenkinder, ein Textmarker, ein Bibliotheksbuch – Zimmerpflanzen, hängend, eine Gorillamaske, hinter der Augen leuchten – das Bild einer fürsorglichen Affenmutter mit Kind, im Bücherschrank „Afrikaremix“, noch ein Philodendron – die Reproduktion von Frida Kahlos Selbstbildnis, wieder Hängepflanzen, Kreidezeichnungen von Geschlechtsteilen, dazu die Namen der Primaten – jemand, der sorgsam die Attrappe einer Schlange bemalt, Bilder von Mammutbäumen mit fröhlich forschenden Winzlingen davor, ein Mundschutz (gegen Ebola), eine Fotofalle … Die Liste dieses körpernahen und doch menschlosen Archivs ließe sich fortsetzen, das Emanuel Mathias in x künstlerischen wie dokumentarischen Medien auffächert: als Drohnenbilder vom Urwaldcamp, als Einblick in echte Transportkisten mit Materialproben; als Audio-Spur mit anschwellendem Affengeschrei, als Diaprojektion von Tiernamen, die deutlich die Vorlieben ihrer Geber widerspiegeln, als Vitrinen mit den Feldtagebüchern des scheidenden MPI-Leiters Christophe Boesch darin. Doch, was dokumentarisch wirkt, ist inszeniert und was inszeniert wirkt, ist in Wirklichkeit durchaus dokumentarisch. So fällt der Blick über einen Feldstecher auf einen Monitor mit einem kurzen Animationsfilm, der von der Gefahr handelt, beim selbstvergessenen Beobachten von einem herunterfallenden Ast erschlagen zu werden. Der schwebt dann praktischer Weise als
Gipsnachbau über der Szene. Auf einem Feldfoto kann man ihn später wiederentdecken. Was also verbindet Mensch & Tier, vor allem aber Primat & Mensch? Was geschieht, wenn sich beide längst gegenseitig beobachten? Und welche Animositäten werden geschürt, wenn ein Künstler nun wiederum seinerseits die Forscher_innen beim Beobachten beobachtet – und das auch noch mit Methoden, welche diese als unwissenschaftlich ablehnen? Stehen sie mit
ihrer jeweiligen ‘déformation professionelle’ ein wenig ratlos mit ihrem je eigenen „Gepäck“ da? Stehen also eigentümlich neben sich, ver-rückt wie auf der künstlichen „Insel“ inmitten des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, von Karpfen umkreist und in Reichweite von heimeligem Kuchen- und Kaffeeduft?
Genaues Beobachten braucht neben Geduld und Unvoreingenommenheit vor allem – Selbstvergessenheit … Wie also die Unschuld zurückgewinnen in diesem Archiv des systematisch angereicherten Wissens? Mathias baut in seinen multimedialen Arbeiten im übertragenden Sinne Fotofallen für eine Kostbarkeit, für die Rarität der Selbstvergessenheit.
„Homes and offices“ ist eine Serie von Photographien, mit denen sich der Künstler dem verbindenden wie trennenden „und“ in diesen verschachelten Beobachtungsverhältnissen annähert. Wo beginnt die Arbeit, wo endet das Zuhause, wenn man freilebende Affen in Afrika erforscht? Mathias’ Thema sind Primatenforscher, die nach ihren Feldforschungen zur Auswertung der gesammelten Daten nach Hause zurückkehren – um sich dort zwischen Bett und Tisch ein Büro einrichten, das immer noch – in schönster Selbstvergessenheit – etwas vom Provisorium eines Feldcamps transportiert. Komfort ist hier Luxus; zuhause endlich eine Frage des Details. Dass sich auffallend viele Pflanzen aus den Tropen Südamerikas – und nicht Afrikas – um die Bilderrahmen und Bücherregale ranken, stört das Gesamtbild nicht, sondern wirkt wie ein Sinnbild für eine trügerische Ähnlichkeit, die aufgrund bloß minimaler Differenzen vor vorschnellen Analogien nicht gefeit ist. Wer wird man selbst, wenn man sich jahrelang unter erheblichen körperlichen Strapazen im Windschatten eines Tieres bewegt, das uns so ähnlich und doch so fremd ist, immer auf sieben Metern Abstand? Mathias zeigt Auszüge aus dem Handbuch, das die Grenze zwischen Mensch
und Tier mithilfe eines Verhaltenscodexes zu ziehen versucht: „Do not touch, do not eat together, do not socialise! Your target chimpanzee should never watch you; if it does, you are too close.” Die selbstauferlegte, künstliche Distanz, die im Feld notwendig ist, aber im Büro zuhause sangund klanglos in sich zusammenbricht, dient dem gegenseitigen Schutz: “Never spit in the forest. Do not urinate in view of the chimpanzees.” Die Tiere sollen sich nicht an Menschen gewöhnen, die sie beobachten – denn es könnten auch Jäger sein. Gefahr liegt über und unter dem scheinbar so wohlgeordneten Archiv: Einerseits wollen die Forscher_innen, welche die wenigen noch intakten Schimpansen-, Bonobo- und Gorillapopulationen im Kongo, an der Elfenbeinküste oder in Guinea-Bissau, erforschen, um diese besser schützen zu können; andererseits legen sie selbst unwillkürlich verräterische Spuren, welche die Primaten
gefährden, vielleicht sogar töten. Der Mensch, der sich forschend dem Tier nähert, muss deshalb zugleich sehr praktische Vorkehrungen treffen, damit seine eigenen Artgenossen sich nicht heimlich mit ihm auf die Lauer
legen: „All human sign, whether within the 2 metre band or not, should be recorded. If hunting camps are discovered, a description should be written down and a waypoint recorded (and written down).” Mit seltsamen, durchaus ‘tierischen’ Klicklauten und exotischen Lockrufen verständigen sich die Feldforscher_innen, die immer zu zweit losziehen, untereinander, um ihre Anwesenheit den Tieren nicht durch den Klang menschlicher Stimmen zu verraten. Aber was, wenn sich die schlauen Tiere, mit denen wir eine erschreckende genetische Übereinstimmung aufweisen, sich genau
über diese Täuschungsmanöver längst lustigmachen, genauso wie über die ausgelegte, falsche Schlange? Was, wenn sie sich zurufen: „Wieso können die komischen Zweibeiner, die mit uns so albern Verstecken spielen, kein ordentliches Französisch sprechen?“
Guidelines
Clothing should be sombre in colour, preferably green or brown.
Never walk alone in the forest.
If chimpanzees come to be less than 7 metres from you,
you should discretely walk away .
Do not touch, do not eat together, do not socialise!
Your target chimpanzee should never watch you;
if it does, you are too close.
Chimpanzee hairs and bones are uniquely important
samples.
If you go under nests in the morning, turn your light off
50 metres before reaching the nests.
Never spit in the forest.
There should never be more observers than
adult chimpanzees.
Do not urinate in view of the chimpanzees.
All human sign, whether within the 2 metre band or not,
should be recorded.
Try to set up camp near a river.
Check for branches of trees that could potentially
fall down before you set up camp.
Send a short standardized monthly report via email.
Waterholes are important camera trap locations.
Sample transport should ONLY be done
in metal (ZARGES) boxes.
Research projects should include members
of the local population.